Samstag, 17. September 2016

Ein anderer Blick auf das Thema Sucht

In der letzten Woche habe ich mich, neben meiner Arbeit in der Praxis, vor allem mal wieder in Fachliteratur vergraben. Ich gebe zu, das hat bei mir schon manchmal fast ein bißchen was mit Sucht zu tun, aber nur fast. Wegen anstehender Seminare zum Thema "Kommunikation und Psychische Erkrankung/Sucht" habe ich mich dazu mal wieder in Literatur gestürzt. Ich bin wieder aufgetaucht, auch wenn noch nicht alle Bücher durchgearbeitet sind, aber gerade eines hat mich doch sehr zum Nachdenken angeregt, auch wenn es wenig Zusammenhang zu den Seminaren hat: "Drogen - Die Geschichte eines langen Krieges" von Johann Hari. Ein englischer Journalist macht sich auf den Weg die Geschichte des Drogenkrieges nachzuvollziehen.
Dieses Buch bestärkt all diejenigen, die sowieso Anhänger von Verschwörungstheorien sind, also Vorsicht. Hari hängt die Geschichte des Drogenkrieges an einzelnen Schicksalen auf, die  stellvertretend für viele andere stehen. Darunter auch das von Billie Holliday, das ganz am Anfang stand und mit der ein Exempel statuiert wurde. Wegbereiter der brutalen Anti-Drogen Politik war Harry Anslinger, der erst in den USA und schließlich fast weltweit seinen Weg durchsetzte. Sehr clever suchte er Unterstützung in der Politik und der breiten Masse der weißen US-Amerikaner, indem er das Thema Drogen mit der Angst vor farbigen Menschen, vor allem Negern, kombinierte. Er spielte geschickt und konsequent mit dem Bild des ohnehin fast animalischen Negers, der unter dem Einfluß von Drogen zum brutalen Tier wurde. Drastische Einzelfälle wurde extrem aufgebauscht, weiße Drogennutzer kaum oder gar nicht belangt, so daß sich nach und nach das Feind- oder Angstbild mit Drogenkonsum verschmolz. Auf diese Art setzte er seine rigorose Politik durch, wurde zum fanatischen Gegner all derjenigen, die eine aufgeklärtere Drogenpolitik unterstützen wollten und sperrte Süchtige einfach ein. "Drogen und Drogennutzer sind schlecht, der einzige Weg die Staaten sauber zu halten ist der, Dealern konsequent das Handwerk zu legen und den Drogensumpf auszutrocknen." So die Quintessenz seines Ansatzes, den er als Leiter des Bureau of Narcotics 35 Jahre durchzog. Seine Macht reichte soweit, daß er sogar bei den UN anderen Staaten diesen weg diktierte. Denn wer sich weigerte, dem sollte der Geldhahn zugedreht werden. (Kleiner Einschub: das löst gerade eine Verknüpfung bei mir aus, wo es um den Einsatz von Maissirup geht; Nach einem Handelsabkommen zwischen den USA und Mexiko darf Maissirup als Süßstoff in Mexiko verwendet werden. Da nach kurzer Zeit die gesundheitlichen Folgen, vor allem Fettleibigkeit, sichtbar werden, belegt der Staat Mexiko Maissirup mit einer Steuer. Dadurch werden Produkte, die mit Maissirup gesüßt sind teurer. Dagegen klagt ein US-Konzern, gewinnt, und der Staat Mexiko darf eine immense Strafe zahlen, weil er die Gesundheit seiner Bevölkerung unterstützt.)
Damit war der Weg zu alternativen Ansätzen versperrt, denn auch Forschung braucht Geld und Zeit. Aber dafür ebnete er einen anderen Weg und baute eine Autobahn für all diejenigen, die an dem Verbot gewinnen konnten; Drogenproduzenten, Schmuggler, Dealern. Was verboten ist, wird richtig teuer und ist auch nicht überprüfbar. Damit begann der eigentliche Krieg. Kartelle klärten diesen unter sich, und es vielen diesem Krieg viel mehr Menschen zum Opfer, als durch die Sucht selber. Unter diesen Opfern waren natürlich nicht nur Dealer sondern Menschen die in irgendeiner Weise zwischen die Fronten gerieten. Sei es als Angehörige, als Polizisten, oder einfach, weil sie am falschen Ort zur falschen Zeit waren. Die Suchtmittel wurde unreiner, die Bosse unermeßlich reich, die Beschaffungskriminalität höher und das Leid immer größer, ohne, daß es weniger Drogentote gegeben hätte.
So weit, so gut. Danach setzt er sich mit alternativen Ansätzen auseinander und zeigt, dass neben den frühkindlichen Erfahrungen vor allem das soziale Gefüge darüber entscheidet, ob jemand eher die Chance hat, einen kontrollierten Umgang mit Suchtmitteln zu schaffen oder nicht. Das Unterdrücken von Gefühlen wie Wertlosigkeit, Einsamkeit, Angst, Scham, ... welches durch das Benutzen von Drogen für den Moment erreicht werden kann, ist der Ansatz zu hilfreichen Optionen. Es geht nicht so sehr um die chemische Abhängigkeit von bestimmten Substanzen, sondern um das Ausblenden von negativen Gefühlen. Bei Spielsucht, Sexsucht, Kaufsucht gibt es überhaupt keine von Außen zugefügten chemischen Stoffe. Wenn die Gesellschaft es ermöglicht, daß alle Menschen einen Platz in ihr haben, an dem sie sich sicher fühlen und eine Aufgabe wahrnehmen können, wäre das ein erfolgversprechender Weg. Hari belegt das natürlich auch mit exemplarischen Geschichten, die Mut machen. Aber es benötigt dazu immer jemanden der aus der Gruppe heraus einen solchen Weg einschlägt. Die Gesellschaft, oder Teile von ihr, müssen das unterstützen, aber der Antrieb selber muß von Menschen kommen, die anders mit ihrer Sucht umgehen wollen. Zwangsbeglückung funktioniert nicht.
Ich selber habe mit Drogen und Sucht so gar nichts am Laufen, aber trotzdem beschäftigt mich das Buch sehr. Unsere bewußten und unbewußten Ängste werden immer wieder von Menschen ausgenutzt. Parolen, Feindbilder und Strategien bauen auf unseren Ängsten. Immer wieder werden Schubladen geöffnet, Gruppierungen aufgebaut, Lager geschaffen. Wenn ich es schaffe, Menschen und Lebewesen zu sehen, statt Gegner setze ich mich mit ihnen auseinander, statt sie auszugrenzen. Aber leider hat unsere Geschichte immer wieder gezeigt, daß es wichtig ist, zu einem Rudel, Gruppe, Stamm, Dorf zu gehören und dieses gemeinsam geben andere zu verteidigen. Der Einzelne war immer schwächer, weswegen ein Schulterschluß mit anderen gerade dann notwendig ist, wenn ich mich selbst schwach fühle. Und mein Gefühl ist nichts rationales, sondern eben ein Gefühl, welches ich zwar versuchen kann, zu unterdrücken, aber es wird dadurch nicht ausgelöscht. Und eine zweite Herausforderung sehe ich in der Vielzahl der Menschen gerade in Berlin, aber natürlich auch in anderen Regionen. Ich vermag es nicht, mich mit jeder und jedem auseinander zu setzen, also benötige ich Schubladen. Aber ich kann versuchen, meine Ängste zu hinterfragen. Ich kann immer wieder lernen anders mit meinen Gefühlen umzugehen. Kann meinen Blick auf meine Ressourcen und das Schöne in meinem Leben richten. Und das ist eine Lebensaufgabe.
Soweit für heute, ich lasse meine Gedanken jetzt weiter reifen und wünsche einen wunderschönen Tag.

2 Kommentare:

  1. Ich empfehle dir mal "lsd-mein Sorgenkind" von Alber Hofmann zu lesen. Unglaublich mal seine Sicht auf seine Entdeckung zu sehen. Besonders weil es lange in der Therapie eingesetzt wurde

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  2. Herzlichen Dank Nelly, das werde ich auf alle Fälle tun.

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